Was führte zur Gründung der Arbeitsgemeinschaft der behinderten Arbeitgeber*innen mit Persönlicher Assistenz (AAPA) e.V.?
Lange Jahre galt in Berlin ein Stundensatz für den sogenannten LK 32 (Persönliche Assistenz). Mit diesem Stundensatz mussten die Assistenzdienste sowohl die Assistenzkräfte als auch die Organisationsmitarbeiter*innen finanzieren. Mit einem Rundschreiben der zuständigen Mitarbeiterin in der Senatsverwaltung an die Bezirksämter wurde gewährleistet, dass dieser Stundensatz bzw. dieser Stundensatz multipliziert mit den bewilligten Assistenzstunden die Obergrenze des Betrages war, der behinderten Arbeitgeber*innen zur Entlohnung ihrer Assistenzkräfte zur Verfügung stand.
Im Jahre 2011 konnte ein so hoher Stundensatz für die Vergütung von Persönlicher Assistenz durchgesetzt werden, dass die Mitarbeiter*innen der Assistenzdienste in Anlehnung an den Tarifvertrag des Landes Berlin (TV-L Berlin) entlohnt werden konnten. Dabei wurden Assistenzkräfte in die Entgeltgruppe (EG) 3 eingruppiert.
Da die behinderten Arbeitgeber*innen keine Organisationsmitarbeiter*innen haben, konnten sie ihre Assistenzkräfte höher entlohnen, als die Assistenzdienste es konnten – nämlich nicht nur in Anlehnung, sondern exakt in Höhe des TV-L. Diese bessere Entlohnung war gerechtfertigt, weil Assistenzkräfte von behinderten Arbeitgeber*innen sich gegenseitig vertreten müssen und im Falle ernsthafter Konflikte mit ihrem*ihrer behinderten Arbeitgeber*in ihren Arbeitsplatz verlieren – und nicht zu einer anderen Person die mit Assistenz lebt vermittelt werden können, wie das bei Assistenzdiensten möglich ist.
Im Jahre 2019 konnte ver.di mit den beiden großen Berliner Assistenzdiensten Haustarifverträge aushandeln. Mit Hilfe eines Gutachtens von ver.di konnte erreicht werden, dass Assistenzkräfte in die Entgeltgruppe 5 eingruppiert wurden. Anders als in den Jahren zuvor war die Senatsverwaltung nicht bereit, das Verhandlungsergebnis mit den Assistenzdiensten auch auf behinderte Arbeitgeber*innen zu übertragen.
Dies führte dazu, dass Assistenzkräfte, die im Arbeitgeber*innenmodell beschäftigt sind, nicht mehr besser entlohnt werden als Angestellte der Assistenzdienste, sondern um zwei Entgeltgruppen schlechter. Daher hatten die behinderten Arbeitgeber*innen begründete Angst davor, dass sie keine geeigneten Assistenzkräfte mehr finden bzw., dass ihre Angestellten wegen der besseren Vergütung zu den Assistenzdiensten wechseln.
Wegen dieser schlechteren Entlohnung der bei ihnen angestellten Assistenzkräfte organisierten behinderte Arbeitgeber*innen gemeinsam mit ihren Assistent*innen Ende September 2020 eine öffentlichkeitswirksame Protestaktion: Entsprechend dem Motto der Aktion „Arbeitgeber*innen-Modell am Boden“ ließen sich Menschen mit Assistenzbedarf auf den Boden vor dem Berliner Abgeordnetenhaus legen.
Da der Zeitpunkt des Protests so gewählt worden war, dass gleichzeitig im Gebäude eine Sitzung des Sozialausschusses stattfand, war sichergestellt, dass auch die „richtigen“ Leute – nämlich die politischen Entscheidungsträger*innen – den Unmut mitbekommen.
Tatsächlich gelang es, dass die damalige Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales Frau Breitenbach mit ihrem Staatssekretär Herrn Fischer aus dem Gebäude kam und den Anwesenden die Unterstützung bei der Erarbeitung eines Tarifvertrags zusagte. Entsprechend einem Urteil des Bundessozialgerichts, dass Tarifverträge als wirtschaftlich anzusehen sind, müssen diese auch refinanziert werden.
Daraufhin fand am 30. Oktober 2020 eine Veranstaltung statt, die den Auftakt zu Tarifverhandlungen bildete zwischen ver.di und den bei ver.di organisierten Angestellten behinderter Arbeitgeber*innen auf der einen Seite und den behinderten Arbeitgeber*innen auf der anderen Seite. Unter den behinderten Arbeitgeber*innen sind Mitglieder von ASL e.V., dem Berliner Assistenzverein und Interselbst e.V. Bei den Verhandlungen werden die behinderten Arbeitgeber*innen durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten.
So wurde im November 2020 damit begonnen, einen Tarifvertragstext zu verhandeln, der zu der besonderen Situation der behinderten Arbeitgeber*innen passt. Grundlage hierfür war der Haustarifvertrag von Neue Lebenswege gGmbH.
Nach aufwändigen Verhandlungen mit ver.di konnte am 14. September 2021 eine Niederschriftserklärung unterzeichnet werden. Dieses Dokument enthält die Eckpunkte eines noch auszuformulierenden Tarifvertrags.
Parallel zu diesem Prozess wurde klar, dass die Arbeitsgemeinschaft für selbstbestimmtes Leben schwerstbehinderter Menschen (ASL) e.V., die seit 1992 die Interessen behinderter Arbeitgeber*innen vertritt, nicht Tarifvertragspartnerin werden kann. Aus diesem Grund wurde am 22. Mai 2021 der Verein AAPA gegründet.
Wie ist der aktuelle Stand bezüglich der Refinanzierung?
Am 26. September 2021 fanden Neuwahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus statt. In deren Folge wechselten die politisch Verantwortlichen – also auch diejenigen, die darüber entscheiden, wie Persönliche Assistenz entlohnt wird.
Dank der ehemaligen Sozialsenatorin Elke Breitenbach, die zu den Personen gehörte, die den Koalitionsvertrag verhandelten, heißt es in diesem Dokument ausdrücklich, dass die Refinanzierung des Tarifvertrages für Assistent*innen im Arbeitgeber*innenmodell sichergestellt wird. Diese Zusage findet sich auch in den Richtlinien der Regierungspolitik für 2021-2026.
Trotzdem bewegte sich monatelang nichts. Die behinderten Arbeitgeber*innen wurden hingehalten.
Anlässlich der Sitzung des Hauptausschusses als Gremium, das für die Finanzplanung zuständig ist, demonstrierten die Arbeitgeber*innen am 11. Mai 2022 vor dem Abgeordnetenhaus. Wir waren erfolgreich: Die Vorsitzende des Hauptausschusses Franziska Becker (SPD) sagte zu, dass die erforderlichen Finanzmittel zur Refinanzierung des Tarifvertrags im Haushalt 2022/2023 bereitgestellt werden. Dieser Haushalt wurde am 23. Juni 2022 vom Abgeordnetenhaus beschlossen. Der Finanzsenator Daniel Wesener weigert sich jedoch, die Finanzmittel freizugeben. Deshalb demonstrierten die behinderten Arbeitgeber*innen am 27. September 2022 erneut – diesmal vor dem Roten Rathaus anlässlich einer Senatssitzung. Wie der Zufall es wollte, konnten die Protestierenden die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey vor dem Eingang zum Roten Rathaus abfangen und der Vorsitzende von AAPA e.V. konnte noch vor der Senatssitzung ein kurzes Gespräch mit ihr führen. Sie versprach das Anliegen in der Senatssitzung zu thematisieren.
Am 6. Oktober 2022 thematisierte Catrin Wahlen, die Sprecherin für Inklusion und Senior*innen der Fraktion Bündnis 90 / DIE GRÜNEN im Berliner Abgeordnetenhaus, die Refinanzierung des Tarifvertrags in einer Frage, die sie im Rahmen der Fragestunde der Plenarsitzung stellte. Die zuständige Senatorin Katja Kipping (Die Linke) antwortete auf diese Frage: Die für die Refinanzierung vorgesehenen Finanzmittel von je 2,5 Millionen Euro für die Jahre 2022 und 2023 seien noch mit einem Sperrvermerk versehen, der mittels eines Beschlusses im Hauptausschuss aufgehoben werden müsse. Eine entsprechende Beschlussvorlage für die Sitzung des Hauptausschusses am 9. November 2022 sei gerade in Vorbereitung.
Die behinderten Arbeitgeber*innen hoffen, dass der Beschlussvorlage zugestimmt wird.
Im nächsten Schritt wird es darum gehen, in Verhandlungen mit der zuständigen Senatsverwaltung die Refinanzierung der Inhalte durchzusetzen, die in der Niederschriftserklärung fixiert sind. Daran anschließend muss die Ausformulierung des Tarifvertrags in Zusammenarbeit mit ver.di erfolgen, damit dann die Entlohnung der Assistent*innen nach TV-L 2022, EG 5 rückwirkend zum 1. Januar 2022 endlich erfolgen kann.